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Mit künstlicher Intelligenz zum besseren Verständnis des Erdsystems

Mit der Bewilligung des renommierten und hochdotierten Förderpreises ‚Synergy Grant‘ des Europäischen Forschungsrats wird die Arbeit eines internationalen Teams unterstützt, das Klimamodelle und die Analyse und Interpretation von Erdsystemdaten verbessern will. Die Wissenschaftlergruppe wird hierzu maschinelle Lernverfahren mit physikalischen Modellen von Atmosphäre und Land kombinieren. Erstmalig werden hier die Forschungsschwerpunkte Klimaforschung, Atmosphärenforschung und künstliche Intelligenz in einem stark interdisziplinären Ansatz verknüpft.

Das USMILE-Team V.l.n.r.: Prof. Pierre Gentine, Prof. Markus Reichstein, Prof. Gustau Camps-Valls, and Prof. Veronika Eyring; Copyright: USMILE

Ein interdisziplinäres Team von vier Forschern des Deutschen Zentrums für Luft- und Raumfahrt (DLR), des Max-Planck-Instituts für Biogeochemie, der spanischen Universität Valencia und der US-amerikanischen Columbia University wurde am 11. Oktober 2019 mit einem ‚Synergy Grant‘ des Europäischen Forschungsrats (European Research Council, ERC) ausgezeichnet. Das Forschungsteam überzeugte den Forschungsrat mit seinem Projekt USMILE (Understanding and Modelling the Earth System with Machine Learning). Die Wissenschaftler wollen das Verständnis und die Modellierung des Erdsystems durch die Entwicklung und Anwendung von maschinellen Lernverfahren, kurz ML, verbessern. ML ist einer der bedeutendsten Ansätze im Bereich der künstlichen Intelligenz (KI). Die renommierte Auszeichnung – 10 Millionen Euro über sechs Jahre – unterstützt die Arbeit des Teams bei der Weiterentwicklung von Erdsystemmodellen und ihrer Bewertung. Sie bilden die Grundlage für die weitere Erforschung des Klimawandels.

Prof. Veronika Eyring vom DLR-Institut für Physik der Atmosphäre erläutert den Ansatz des Teams: "Wir haben uns zusammengeschlossen, um unsere multidisziplinäre Expertise in den Bereichen Klimamodellierung, Landökosysteme, maschinelles Lernen und Wolken-Parametrisierung zu bündeln. So wollen wir einige der zurzeit noch bestehenden Einschränkungen bei der Simulation des Klimawandels beheben, die komplexen Prozesse von Erde und Atmosphäre besser verstehen und unbekannte Ursachen und Treiber im Erdsystem entdecken." Prof. Eyring ist ‚corresponding Principal Investigator‘ (cPI) von USMILE.

Die Motivation für das neu geförderte ERC-Projekt "Understanding and Modelling the Earth System with Machine Learning" (USMILE) besteht darin, dass es beim Verständnis des Erdsystems noch einige grundlegende Einschränkungen gibt, die auch unsere Fähigkeit für akkurate Vorhersagen des Klimawandels einschränken. Während sich die Erdsystemmodelle in den letzten Jahrzehnten kontinuierlich verbessert haben, ist die Fähigkeit der Modelle, sowohl globale als auch regionale Reaktionen des Erdsystems zu simulieren, die für die Beurteilung des Klimawandels und seiner Auswirkungen auf die Ökosysteme entscheidend sind, durch die Darstellung physikalischer und biologischer kleinräumiger Prozesse wie Wolken, Stomata und Mikroben begrenzt.

KI trifft Physik

"Unsere zentrale Hypothese ist, dass das Verständnis durch den Einsatz von maschinellen Lernverfahren verbessert werden kann. Erstens verfügen wir in der Erdbeobachtung und Atmosphärenforschung heute über Datenvolumina im Petabyte-Bereich mit einer beispiellosen räumlichen und zeitlichen Abdeckung für viele Prozesse. Zweitens stehen nun hochauflösende Klimamodellsimulationen zur Verfügung, in denen Wolkenprozesse explizit simuliert werden können. Aber diese Simulationen sind sehr teuer und können daher momentan nur für wenige Tage durchgeführt werden", sagt Prof. Pierre Gentine, PI des Projekts von der School of Engineering and Applied Science an der Columbia University.

Prof. Gustau Camps-Valls von der Universität Valencia, ebenfalls PI bei USMILE, ergänzt: "Der Bereich des maschinellen Lernens hat sich schnell weiterentwickelt und ermöglicht Durchbrüche bei der Erkennung und Analyse komplexer Beziehungen und Muster in großen multivariaten Datensätzen. Wir können jetzt nicht nur komplexe Funktionen anpassen und modellieren, sondern auch kausale Zusammenhänge lernen."

Das Team wird maschinelle Lernverfahren entwickeln, um Erdbeobachtungsdatensätze zu erweitern, die gleichzeitige, räumlich-zeitliche Veränderungen mehrerer Parameter berücksichtigen. Das Forschungsteam wird diese maschinellen Lernverfahren verwenden um Parametrisierungen und Submodelle für Wolken und Landoberflächenprozesse zu entwickeln, die den Fortschritt in der Klimamodellierung seit Jahrzehnten behindern. Darüber hinaus wird das Team interne Klimaschwankungen und multivariaten Extreme erkennen und verstehen. Die dynamischen Aspekte des Erdsystems will das Team mit neuartigen Techniken des Deep Learnings aufdecken, um sie auf mögliche kausale Zusammenhänge hin zu beurteilen.

Traditionell werden physikalische Modellierung und maschinelle Lernverfahren oft als zwei verschiedene Welten mit entgegengesetzten wissenschaftlichen Paradigmen behandelt: theoriegetrieben versus datengetrieben. "Ein besseres Verständnis und eine bessere Modellierung des Erdsystems sind dringend notwendig. Maschinelles Lernen hat hier ein außerordentliches Potenzial und kann die Klimaforschung deutlich weiterbringen. Wir hoffen, dass wir durch die Brücke zwischen Physik und maschinellem Lernen die Modellierung und Analyse des Erdsystems revolutionieren und langfristig zu robusten Klimaprojektionen kommen", betont Prof. Markus Reichstein, PI des Max-Planck-Instituts für Biogeochemie. Er fügt hinzu: "USMILE kann einen Paradigmenwechsel in der aktuellen Modellierung des Erdsystems hin zu einer neuen ‚datengesteuerten Physik‘ vorantreiben".
Unterstützt wird das Team von der Computer-Vision Gruppe um Prof. Denzler an Friedrich-Schiller-Universität in Jena, die seine langjährige Expertise bei der Entwicklung von Techniken des Maschinellen Lernens zur Erkennung von Anomalien und Kausalitäten einbringt. Aus der Partnerschaft Erd- und Sonnensystemforschung der Max-Planck-Gesellschaft (ESRP) werden Kollegen um Prof. Stevens vom MPI für Meteorologie mit hochaufgelösten Simulationen zum Projekt beitragen.

Synergy Grants des Europäischen Forschungsrats

Die 2007 von der Europäischen Union gegründete Europäische Forschungsrat, englisch European Research Council (ERC), ist die führende europäische Förderorganisation für exzellente Pionierforschung. Jedes Jahr wählt und finanziert sie die besten, kreativsten Forscher aller Nationalitäten und Altersstufen für die Durchführung von Projekten in Europa mit Zuschüssen wie den ‚Synergy Grants‘. "Wir freuen uns auf die Zusammenarbeit in diesem interdisziplinären Team und danken dem ERC, dass er uns diese großartige Chance gibt", sagt Prof. Veronika Eyring.
In den meisten Fällen sind die ERC-Synergiegruppen interdisziplinär, oft mit multidisziplinären Ansätzen. Die Nationale Kontaktstelle zum ERC in Deutschland wird gemeinsam vom EU-Büro des Bundesministeriums für Bildung und Forschung im DLR-Projektträger und der Kooperationsstelle EU der Wissenschaftsorganisationen betreut.

Beteiligte Institute des USMILE Teams:

Deutsches Zentrum für Luft- und Raumfahrt (DLR)
Das Deutsche Zentrum für Luft- und Raumfahrt (DLR) ist das nationale Luft- und Raumfahrtforschungszentrum der Bundesrepublik Deutschland. Die umfangreichen Forschungs- und Entwicklungsarbeiten in den Bereichen Luftfahrt, Raumfahrt, Energie, Verkehr, Sicherheit und Digitalisierung sind in nationale und internationale Kooperationen integriert. Das DLR ist auch für die Planung und Umsetzung der deutschen Raumfahrtaktivitäten im Auftrag der Bundesregierung verantwortlich. Darüber hinaus ist das DLR ist auch Dachverband für einen der größten Projektträger Deutschlands.

Max-Planck-Institut für Biogeochemie
Das Max-Planck-Institut für Biogeochemie in Jena ist Teil der Deutschen Max-Planck-Gesellschaft. Seine Mission ist es, biogeochemische Kreisläufe (Kohlenstoff, Wasser, Nährstoffe) insbesondere auch im Hinblick auf das Klimasystem von der lokalen bis zur globalen Ebene zu untersuchen. Dabei verwenden und kombinieren die Wissenschaftler ein breites Methodenspektrum, zum Beispiel Manipulationsexperimente, Langzeitbeobachtungen und daten- und theoriegesteuerte Modellierungsansätze.

Universität Valencia
Die Universitat de València ist mehr als 500 Jahre alt ist und gilt als eine der besten Universitäten für Physik in Spanien. Das Image Processing Lab (IPL) ist ein multidisziplinäres Institut, an dem mehr als 60 Fakultäten und Forscher aus den Bereichen Erdbeobachtung, Bildverarbeitung, Bildwissenschaften und maschinelles Lernen teilnehmen. Das Labor arbeitet aktiv mit ESA, NASA und EUMETSAT zusammen, um neue Sensorgeräte, Messkampagnen und datenintensive Verarbeitungsketten zu entwickeln. Die IPL-Fakultät bildet den Nachwuchs an Physikern, Datenwissenschaftlern, Fernerkundungsanalysten, Mathematikern und Elektroingenieuren in aus.

Columbia University's School of Engineering and Applied Science
Die Columbia Engineering in New York City ist eine der angesehensten und ältesten Hochschulen für Ingenieurswissenschaften der USA. Die Fu Foundation School of Engineering and Applied Science entwickelt Technologien durch die Forschung ihrer mehr als 220 Fakultäten. Sie bildet Studierende und Absolventen in einer kollaborativen Umgebung aus, um zu Führungskräften zu werden. Im Mittelpunkt steht die interdisziplinäre Forschung, zu der die Institute Data Science, Earth, Zuckerman Mind Brain Behavior, Precision Medicine und der Columbia Nano gehören. Geleitet von ihrer strategischen Vision "Columbia Engineering for Humanity" will die Schule Ideen in Innovationen umsetzen, die eine nachhaltige, gesunde, sichere, vernetzte und kreative Menschheit fördern.